Stefanie Schneider: A Discovery on Polaroid
A Text by Eugen Blume
(Translated by George Frederick Takis)
Stefanie Schneider: Eine Erfindung auf Polaroid
Ein Text von Eugen Blume
Wie kommt es eigentlich, dass die Fotoarbeiten von Stefanie Schneider nichts anderes zulassen als die eine Assoziation: Amerika? Weil sie in Amerika aufgenommen sind? Das wäre noch kein zwingendes Argument. Viele Amerikafotografien haben jene leichtsinnige Ambivalenz, die ihnen sogar das eigene, andere Land zum verwechseln ähnlich werden lässt. Hat das mit der fortschreitenden Amerikanisierung der Welt zu tun? Oder hängt es ganz einfach mit unseren Cliches zusammen, die wir einem Land von der Größe Nordamerikas als seinem wesentlichen Ausdruck unterstellen und es dabei nicht nur fahrlässig auf jede beliebige Größe schrumpfen lassen, sondern auch weithin expandieren, von Deutschland bis nach Luxemburg und Japan?
Nun sind Thelma und Louise in der Wüste gewiss keine amerikanische Wirklichkeit, auch nicht nach ihrer Auferstehung als Radha and Max, der Serie 29 Palms von 1999. Es ist seltsamerweise die Natur, die diese zutiefst künstliche Szene zur amerikanischen Wahrheit werden lässt. Das grelle Sonnenlicht in der kargen Landschaft legt den Grundton fest, aus dem die Frauen unter gefärbten Perücken in übersteuerter Hyste- rie herausdrängen. Es ist im Grunde absurd, das Weibliche inmitten einer gnadenlosen Unwirtlichkeit zu feiern. Das Bild der beiden Frauen ist ein Monument des Widerstandes, die signifikant Behauptung, gegen jede Konvention zu leben. Der Bildaufbau, die eingefangene Bewegung am Rande des Formats, sind Mittel, um die gleißende Helligkeit mit der Handlung auf eine Weise zu verschmelzen, die vielleicht nur in der „einfachen“ Instanttechnik des Polaroid funktionieren. Stefanie Schneiders Bilderzählungen sind frappierend in ihrer formalen Eleganz. Sie nutzt die chemischen Verwerfungen der Polaroids, ihre Überlichtungen und Dop- pelbilder als souverän beherrschte Mittel künstlerischer Gestaltung. Die Defekte sind gleichsam metaphorische Ebenen, die der Oberfläche eine Tiefenlotung verordnen. Die überhellten Farben und Schlieren suchen das Unheimliche, sie opponieren gegen die absichtlich flach gehaltene Erzählung. Sie berichten von einem unsichtbaren Strang. Sie erhellen im wahrsten Sinne des Wortes die untergründigen Prozesse. Obwohl wir eine Serie mit amerikanischen Flaggen kennen, die deutli- cher den Ort ihrer Erzählungen nicht ausweisen können, bleibt der Zweifel, ob die eingangs beschriebene Assoziation Amerika identisch ist mit dem, was wir geografisch als Amerika behaupten.
Obwohl ich inzwischen mehrfach in Amerika war, in Süd- und Nord- amerika, bleibt es tief in mir unsicher, ob die Neue Welt tatsächlich existiert. Columbus Irrtum noch an Land zu glauben, er hätte es mit Indien zu tun, was das eigentliche Ziel seiner Reise war, hat sich im europäischen Unbewussten als kulturelle Konvention tief eingegraben. Peter Bichsels amüsante Geschichte „Amerika gibt es nicht“ ist bis heute eine unleugbare Wahrheit: Amerikas Norden ist ein Film, kein Kontinent. Alles was U.S.A. heißt, von den Indianern, deren edelste Wilden in Europa erfunden wur- den, bis zum 11.September und dem nachfolgenden Irakkrieg, den Aliens und die Wiederbelebung der Dinosaurier, den Terminatoren als Gouver- neure und Präsidenten als Schauspieler und umgekehrt, den elektrischen Todesstühlen, den Paten Marlon Brando und dem ewigen Sänger Bob Dylan, dem Neurotiker Woody Allan, Velvet Underground und Andy Warhol sind mediale Erfindungen. Alles was ich von Amerika weiß, haben mir der Film und Hollywood beigebracht.
Meine Reise in dieses fiktive Wonderland, dem Land, wo nichts unmöglich scheint, begann mit der Landung auf dem Kennedy Airport und der Frageliste nach meiner bisherigen Existenz und ob ich irgendeiner kommunistischen Vereinigung angehörte und angehöre. Drei Stunden Wartezeit inmitten vielfarbiger Passagiere bis mein Flug nach Houston, Texas, gerufen wurde, dem Ziel meiner ersten Amerikareise, vergingen ohne Wirkliches zu sehen bekam. Das Flugzeug fuhr unendlich lange bis zur Startbahn, überquerte unterwegs Brücken, unter denen dichter Autoverkehr irgendwohin wie eine nicht enden wollende Karawane stetig dahinfloß. Mein kleines Bordfenster war nichts weiter als ein Monitor, eingestellt auf eines der vielen Roadmovies, in die ich gelangweilt hineinstarrte. Endlich rollte die Maschine aus und die schweren Türen wurden geöffnet, warme Luft inmitten von Betonnutzbauten und einigen wenigen Palmen: Ich war in Nordamerikas Süden. Vor dem Flughafen die übliche Szenerie eines hunderte Male gesehenen Filmbeginns, Yellow Cabs mit schwarzen Fahrern. Auf dem Highway nach Houston, die Fenster wieder nichts weiter als Monitore, rechts und links auf hohen Masten überdimensionierte breitwandformatige Reklametafeln von allem, was wir in Europa schon lange in uns hineinamerikanisiert haben: Coca Cola in unmittelbarer Hassliebe zu Pepsi, dem erfolgreichen Geschmacksplagiat, McDonalds, Cornflakes. Betonstraßen über und unter mir, in der Ferne die in die Wüste gestellte Skyline von Houston: gutes Cinemascope. Unwillkürlich fielen mir die ersten Szenen von Tarkowskis „Solaris“ ein, jenes unendliche Betonband, gefilmt aus dem Wageninneren, der fernge- steuert seinen Fahrgast irgendwohin bringt, nur nicht in die Wirklichkeit. Den ersten Texaner, den ich traf, verstand ich nicht, die Sprache, der schwerfällige, im inneren des Mundes gesprochene Dialekt, war mit meinen Englischkenntnissen nicht kompatibel. Amerika war nicht nur ein Film, sondern eine Ansammlung von Cliches.
Abends zur Eröffnung einer Ausstellung im Museum, die mein eigentlicher Reisegrund war: reiche Frauen mit Pelzmänteln bei ca. 30 Grad Celsius, das Buffet zuerst, dann die Kunst, keine ausschweifenden Reden, alles ist ökonomisch dem Vergnügen und der Repräsentanz vorbehalten. Das moderne Houston, nichts weiter als eine Bürostadt, die letzten Hochhäuser enden schon im Wüstensand, einige sind primitiv vernagelt und mit Warnschildern versehen: Asbest verseucht. Im Bus bin ich der einzige Weiße unter farbigen Einwanderern aus Südamerika oder alteingesessenen, ehemaligen Sklavenfamilien, seltsam bestaunt wie ein verirrtes Wesen. Auf der Suche nach der DeMenil Collection inmitten von nicht enden wollenden Einfamilienhäusern, die übliche Szene: Action! Sirenenfahrzeug der Polizeikontrolle mit doppelter Rundumleuchte auf dem Dach, der Sheriff gut besetzt, eine gelungene Sequenz, ohne Wiederholung im Kasten. Ich komme als Europäer, wie man meinem Pass unschwer entnehmen konnte, ungeschoren davon. Alles ist freundlich, von einer nahezu un- glaublichen Freundlichkeit. Die Kollegen im Museum of Fine Arts, einem erstaunlichen Universalmuseum mit Kunstwerken von der Antike bis zur Gegenwart und einem Mies-van-der Rohe-Anbau, sind begeistert von meiner Idee, so schnell wie möglich nach Kalifornien weiter zu reisen.
Unter mir ein Naturfilm von National Geographic, der Grand Canyon, die roten Felsen von unglaublichen Dimensionen, irgendwo Death Valley und Hollywood, dem ich so viel verdanke. In San Francisco erwarten mich die Freunde am Flughafen, zwei amerikanische Biographien, wie sie nur hier geschrieben werden. Es ist alles so, wie ich es kenne, der Soundtrack stimmt: Crosby, Stills, Nash and Young und weiter oben in der Brandung die Beachboys.
Die Golden Gate im Nebel, das wunderbare Sausalito und weit drü- ben Oakland. Ein Paradies der Hippies, 20 Grad Celsius als Jahres- durchschnittstemperatur. In einer Buchhandlung liest William Seward Bouroughs, Alan Ginsburgh und irgendwo singt Patti Smith.
Von New York, meinem nächsten Ziel, will ich hier nicht schreiben, nicht von den wunderbaren Menschen bei denen ich gewohnt hab, von Mildred der Pianistin, die mit John Cage arbeitete, nicht von ihrem Mann, dem Maler, der mit Alexander Calder befreundet war...
Erinnere ich diese erste Reise nach Amerika, so sind meine Bilder selt- sam farbig verschwommen und die scharfen Fotografien, die ich unter vielen nutzlosen behalten habe, zeigen nichts von dem, was in meinem Kopf geblieben ist. Ich denke an die magischen Orte ebenso wie an die unwirtlichen in einer bestimmten Ästhetik und diese Ästhetik fand ich in den Bildern von Stefanie Schneider wieder. Geschichten über Amerika, eine Erfindung auf Polaroid.
Im Grunde wissen wir nicht, wie unsere erinnerten Bilder ausse- hen, wir meinen zwar Bilder zu erinnern und erzählen über Bilder, die uns die Träume des Nachts ins Gehirn spielen, aber deren Form zu be- nennen, fiele uns schwer. Mitunter meinen wir, klare Bilder gesehen zu ha- ben, meistens denken wir an Verschwommenes, an Schatten mehr denn an scharfe Konturen. Stefanie Schneider nun sieht ihre Wahlheimat als gebürtige Deutsche wie einen Traum. Sie inszeniert ein Land, das es nicht gibt, ein Land der Träume und Geister. Sie erzählt 2005 in dem Film Hitchhiker und in der Fotoserie Sidewinder von Liebe in Hippiecliches der 60er Jahre. Das langhaarige, ungeschminkte Girl mit dem Prediger im Wohnwagen inmitten von ewiger Hitze, Gottes warmes Zelt über Kaliforniern, Jack Daniels als Messwein, der Colt als Brevier und kein Happyend. Eine biblische Erzählung über Mann und Frau zwischen Gewalt und Zärtlichkeit in der Einsamkeit einer grandiosen Landschaft und den Requisiten einer fernen Zivilisation.
Inmitten der gewaltigen Natur steht anderorts das artifizielle Weib mit falscher Haarfarbe, zu grell für Gottes Welt, zu widerständig für das bigotte Amerika. Die Mädchen schminken sich zu Tode, sie wollen nichts als bereit sein für das Abenteuer, für das eine Feuerwerk in dem sie ab- brennen für alle anderen, die sich ordentlich halten. Sie sind Lolitas am Pool und in der Wüste, Sirenen, die den Mann betören mit ihrem Gesang, ihn um den Verstand bringen und mit ihm verbrennen wollen in der ameri-kanischen Wüste. Das Leben als Film, nirgends ist Wirklichkeit.
Stefanie Schneiders Bilder changieren zwischen Fotografie und Malerei. Ihre großgezogenen Polaroids wirken, denkt man an die inzwi- schen inflationäre Fotonachmalerei, wie sie der Belgier Luc Tuymans initiiert hat, wie Malerei ohne Malerei zu sein. Was die ersten Fotografen im 19.Jahrhundert noch aus einem gewissen, der Technik geschuldeten Minderwertigkeitsgefühl heraus versuchten, nämlich durch malerische Qua- lität sich der Kunst zu versichern, gelingt ihr als interessantes Zwischen- segment im heutigen Selbstbehauptungsdiskurs bildmäßiger Fotografie. Was mich interessiert sind nicht nur ihre Geschichten, die seltsam ge- wollt banal wirken und einem narrativen Minimalismus folgen, der sich am Cliche genügt, der nichts hinzustellt als eine abermalige Variante von sattsam, ausgereizten Stoffen. Mich interessiert die von ihr gefundene Gestalt, die sich dem Phänomen Erinnerung ästhetisch annähert. Alles was wir tun und erleben, ist nach der unmittelbaren Tat bereits Erinnerung, nur abrufbar als unscharfe Gedächtnisleistung. Das Wirkliche und die ihr eigene Qualität ist im Erinnern verloren, der Ambivalenz preisgegeben, die Zeugen mit unterschiedlichen Stimmen leicht zu finden versteht. Jede Mü- he, es „wirklich“ nachzuzeichnen, erschöpft sich bereits in der Unzuläng- lichkeit unseres Denkens. Nur die Poesie, die sich der Ambivalenz naiv verschreibt, die eine andere Genauigkeit kennt als die bürokratische Requi- site des Historischen, vermag uns das Geschehen zurück zu holen. Vor den Bildern von Stefanie Schneider erinnere ich meinen ersten Amerika- besuch genauer als aus meinen Aufzeichnungen und den mitgenom- menen Büchern und touristischen Hilfswerken. Geradezu erschrocken stehe ich vor blass verschwommenen Farben, vor Fragmenten schlecht gezielter Objektive, vor chemischen Löschungen zu schnell geöffneter Sofortbilder, und erinnere ein Land, das es in Wirklichkeit nicht gibt.